Vom Küchen- zum Wohnmöbelhersteller: 2020 werden die Karten neu gemischt

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Wer Spezialisierung als Chance begreift, aus einem Markt an Angeboten herauszustechen, hat es 2020 schwer: die Küchenindustrie hat den gesamten Wohnmöbelmarkt für sich entdeckt, und arbeitet nunmehr nicht nur mit ihm zusammen, sondern stellt sich in diesem Spektrum mit eigenen Produkten auch als Wohnmöbelhersteller auf. Ziel ist die ganzheitliche Raumplanung aus einer Hand – doch daran krankt möglicherweise die Individualität.

Blick zurück: wie aus spezialisierten Handwerksbetrieben heutige Küchenhersteller wurden

Die Geschichte der Verschmelzung von Wohnraum und Küche mag hinreichend bekannt sein, ist aber noch längst nicht zu Ende erzählt. Gehen wir einmal zurück ins frühe 19. Jahrhundert, als die aufkeimende Industrialisierung und die Inbetriebnahme von Maschinen eine Spezialisierung mit sich brachten: zwar waren Handwerker schon viele Jahrhunderte zuvor in eigenen Zünften organisiert und gingen einem bestimmten Gewerk nach, doch regierte vielerorts auch das Prinzip „von allem etwas und nichts so richtig“. Die Fähigkeit, sich zu spezialisieren und daher auf dem Markt unersetzbar zu machen für eine bestimmte Tätigkeit, eine Dienstleistung oder ein Produkt, ging erst mit der präzisen maschinellen Fertigung einher. Gleichzeitig bedeutete das eine Chance.

Diesen Meilenstein in ihrer wirtschaftlichen Ausrichtung haben auch viele Traditionshersteller heutiger Küchenräume in ihren Anfängen noch erlebt. Einige starteten unter der Leitung ehrgeiziger Tischlermeister, die ihren Handwerksbetrieb auf die Produktion von Küchenbuffets und Schränken spezialisierten und damit den Grundstein zu heute weltweit bekannten Premiumküchenherstellern, beispielsweise Poggenpohl oder SieMatic, legten. Auch im Elektrogerätebereich gibt es viel an derartiger Gründungshistorie zu entdecken, so beispielsweise beim Schweizer Luxusgeräte-Spezialisten V-ZUG, der 1913 als Verzinkerei gegründet wurde und erst in den 80er Jahren mit einer Metallwarenfabrik zur Produktion von Herden und Backöfen fusionierte.

So wie Poggenpohl starteten viele renommierte Küchenhersteller: indem sich ihre Ursprungsbetriebe von einfachen Tischlereien hin zu Küchenmanufakturen spezialisierten. Heute wendet sich das Blatt. (Foto: Poggenpohl)
So wie Poggenpohl starteten viele renommierte Küchenhersteller: indem sich ihre Ursprungsbetriebe von einfachen Tischlereien hin zu Küchenmanufakturen spezialisierten. Heute wendet sich das Blatt. (Foto: Poggenpohl)

2020: Küchenhersteller werden zu Wohnmöbelherstellern

Sprung nach vorn ins neue Jahrzehnt, das mit einem vielversprechenden Jahr 2020 startet. Mit Spannung wird die legendäre Küchenmesse EuroCucina im April herbeigesehnt, die als richtungsweisend für die kommenden zwei Küchenjahre sowie die Entwicklung der Küche im Allgemeinen gesehen wird.

Eine Entwicklung ist so gut wie sicher: die Verschmelzung von Küche und Wohnraum, die längst mehr Tradition als Trend ist, bekommt neuen Schwung durch die breitere Aufstellung aller Produzenten im Küchenbereich, vom Möbel- bis zum Gerätelieferanten. Die Spezialisierung mit Fokus auf den Küchenraum scheint ein Credo vergangener Jahre zu sein. Die Zukunft wartet mit einer Bandbreite an Dienstleistungen, die Kunden aus einer Hand beziehen können. Küchenproduzenten werden nun Wohnmöbelhersteller.

Das könnte aus dem Katalog eines hochwertigen Wohnmöbelherstellers stammen. Tatsächlich gehört es aber zur neuen LEICHT-Kollektion 2020. (Foto: LEICHT)
Das könnte aus dem Katalog eines hochwertigen Wohnmöbelherstellers stammen. Tatsächlich gehört es aber zur neuen LEICHT-Kollektion 2020. (Foto: LEICHT)

LEICHT, Nobilia, bulthaup: Ankleiden, Badmöbel und Vitrinen als Wohnmöbelhersteller

Blicken wir zunächst auf die Ausgangssituation, noch bevor die Hersteller etwas über ihre Neuheiten haben durchsickern lassen. Küchenhersteller produzieren plötzlich nicht nur Sideboards und Vitrinen, sondern wie selbstverständlich auch Garderoben, Hauswirtschaftsräume und sogar Badmöbel. Der schwäbische Produzent LEICHT bezeichnet sich als Architekturmarke und geht dazu über, ganze Wohnräume einheitlich auszugestalten. Selbst die früher oft vernachlässigte, mittlerweile stark ins Design einbezogene Lichtplanung wird vom Konzern bereits in Möbel eingeplant oder als Teil des Raumes angeboten.

Nobilia, Europas führender Küchenhersteller Nummer 1, präsentiert seit Herbst vergangenen Jahres eigene Bademöbel-Kollektionen. Der ostwestfälische Hersteller rational wirbt mit „Wohnfühlwelten“, die die Gestaltung der gesamten Raumumgebung zulassen. Und bulthaup aus dem bayerischen Aich platziert mit der bulthaup b solitaire-Möbelserie hochwertige Einrichtungselemente als Kommode und Vitrine, die den konsequent minimalistischen Küchenstil des Luxusherstellers auch im Wohnraum fortführen soll.

Auch dieses Foto scheint eher aus der Kollektion eines Badezimmer-Lieferanten zu stammen. Irrtum: es kommt vom Küchenmöbelhersteller nobilia. (Foto: nobilia)
Auch dieses Foto scheint eher aus der Kollektion eines Badezimmer-Lieferanten zu stammen. Irrtum: es kommt vom Küchenmöbelhersteller nobilia. (Foto: nobilia)
bulthaup integriert sich verstärkt in den Wohnraum seiner elitären Konsumenten: die minimalistische, hochelegante Konstruktion glatt geschmirgelter bulthaup-Küchen findet sich nun auch im Wohnmobiliar bulthaup b solitaire wieder. (Foto: bulthaup)
bulthaup integriert sich verstärkt in den Wohnraum seiner elitären Konsumenten: die minimalistische, hochelegante Konstruktion glatt geschmirgelter bulthaup-Küchen findet sich nun auch im Wohnmobiliar bulthaup b solitaire wieder. (Foto: bulthaup)

BLANCO, Franke, Villeroy & Boch: wenden sich Küchenmöbeln zu

Umgekehrt weiten auch namhafte Zuliefererbetriebe ihr Angebot aus. Schon seit einigen Jahren machen die Armaturen- und Spülenhersteller BLANCO und Franke in Stahl; von dünn gewalzten Edelstahloberflächen bis hin zu monolithischen Stahlkücheninseln ist alles dabei. Das Know-How kommt freilich von jahrzehntelanger Forschung rund um Edelstahlspülbecken, und doch greifen diese Unternehmen damit bewusst auch den Küchenmarkt an. Die Karten werden 2020 neu gemischt.

Ein anderer namhafter Sanitär-Betrieb geht noch offensiver ins Rennen: Villeroy & Boch, bekannt für höchst hochwertige Keramikprodukte in Küche, Bad und Fliesenspiegel, baut sein Produktportfolio mit einem eigenen Küchenmöbelprogramm aus. Das mit Spannung für Frühjahr 2020 erwartete Sortiment soll sich stark an der keramischen Eleganz der Villeroy & Boch-Fliesen orientieren und wird vorerst in enger, lizensierter Zusammenarbeit mit dem ostwestfälischen Hersteller Störmer Küchen vertrieben.

2020 werden alle Karten neu gemischt: Küchenmöbel- werden zu Wohnmöbelherstellern; Spül- und Armaturenspezialisten zu Küchenbauern. (Foto: BLANCO)
2020 werden alle Karten neu gemischt: Küchenmöbel- werden zu Wohnmöbelherstellern; Spül- und Armaturenspezialisten zu Küchenbauern. (Foto: BLANCO)

Vorteile der gebündelten Küchen- und Wohnmöbelhersteller für Industrie und Kunden

Der sanfte Übergang vom Küchen- zum Wohnbereich ist also längst fester Bestandteil einer immer stärker um sich greifenden, ganzheitlichen innenarchitektonischen Planung geworden, die von Küchenstudios geplant und an einen einzigen Hersteller herangetragen werden kann. Das birgt für die Industrie natürlich massive Vorteile: Kunden können so noch stärker an ein einzelnes Unternehmen gebunden werden, das als Ansprechpartner für Küchen ebenso fungiert wie für Schlafräume, Kinderzimmer und Büromöbel. Das machen Hersteller wie IKEA, Segmüller oder die hochwertigere SCHMIDT Gruppe bereits sehr erfolgreich vor. Auch renommierte Produzenten springen nun auf diesen profitträchtigen Zug auf.

Natürlich profitieren Kunden ebenfalls von diesem verbreiterten Angebot. Raumplanungen gehen Hand in Hand mit harmonischer Farbauswahl und einem kongruenten Materialmix einher; wer beispielsweise für die Küche spezielles Esche- oder Nussholz auswählt, kann das auf Wohnzimmermöbel ausweiten. Hinzu kommt, dass viele Küchenhersteller sich auf eine großzügige RAL-Farbpalette stützen, die, nach Auswahl des favorisierten Lacks, in verschiedenen Tönen für unterschiedliche Räume angewendet werden kann. Der Kunde lässt sich bequem in wenigen Sitzungen im Küchenstudio seiner Wahl beraten, um seine komplette Wohnraumplanung abzuschließen. Speziell höherwertige Studios sind bereits aufgrund der Nachfrage dazu übergangen, neben Küchenplanern verstärkt Innenarchitekten ins Team aufzunehmen und so die Nachfrage der Kunden nach einer ganzheitlichen Raumplanung zu bedienen.

Viele Küchenhersteller, die auch im günstigeren Segment operieren, haben ihr Sortiment längst auf Ankleiden, Schlafzimmer- und Büromöbel erweitert. (Foto: SCHMIDT Küchen)
Viele Küchenhersteller, die auch im günstigeren Segment operieren, haben ihr Sortiment längst auf Ankleiden, Schlafzimmer- und Büromöbel erweitert. (Foto: SCHMIDT Küchen)

Nachteile der gebündelten Küchen- und Wohnmöbelhersteller für Kunden

Und doch gibt es, wie so oft, ein ABER. Früher hätte man das Sprichwort herangezogen; „Schuster, bleib bei deinen Leisten.“ Das stimmt in diesem Fall nicht so ganz: ein Grund, warum sich Premiumhersteller erst viel später in andere Produktnischen vorwagen als die günstige Konkurrenz, ist die Hochwertigkeit, mit der auch spartenfremde Produkte angegangen werden wollen. Der Ruf eines ganzen Unternehmens steht auf dem Spiel. Wer Sideboards und Garderobenschränke namhafter Küchenhersteller erwirbt, sollte also auch da auf Qualität setzen dürfen.

Beschränkt ist der Kunde freilich jedoch trotzdem: auf Regale, die sich nach einem Küchenrasterprinzip zusammensetzen. Auf Farben und Materialien, die der Hersteller auch für Küchen anbietet. Wer Wohnmöbel von Küchenherstellern bezieht, bekommt das, was gerade im Küchenraum angesagt ist: puristische Solidität, Minimalismus um jeden Preis, klare Kanten, elegante Vitrinen, offene Regale. Die individuelle Note geht ein Stück weit verloren, wenn Küchen- und Wohnraum allzu harmonisch ineinander übergehen und dabei blass bleiben.

Ausgefallene Einzelstücke und dekorative Klassiker wie bei COR, interlübke und Brühl sucht man vergebens. Der Preis der Einheitlichkeit ist Langeweile. Soviel Gleichförmigkeit gibt es nicht einmal beim IKEA-Regal Billy. Hinzu kommt eine gewisse Abhängigkeit, in die sich der Kunde begibt, der aus einer Hand kauft: was bei Planung und Kaufabwicklung bequem ist, wiegt schwer, wenn ein Unternehmen Konkurs anmeldet; ein Schreckensszenario, das leider desöfteren in den vergangenen Jahren zu beobachten war am Markt.

Gekonnte Farbharmonie oder eintönige Langeweile? Die Transformation vieler Küchen- zum Möbelhersteller birgt Chancen wie Risiken. (Foto: Valcucine Living)
Gekonnte Farbharmonie oder eintönige Langeweile? Die Transformation vieler Küchen- zum Möbelhersteller birgt Chancen wie Risiken. (Foto: Valcucine Living)

Aus Küchen- werden Möbelhersteller: Fokus auf EuroCucina 2020

Es hatte also vielleicht durchaus einen Grund, warum sich damals mit Beginn der Industrialisierung das Handwerk spezialisierte, weg von alle Wünsche bedienender Oberflächlichkeit, hin zu einer perfektionierten Ausgestaltung der eigenen Ware. Gerade befinden wir uns auf dem umgekehrten Pfad. Was er bringt, wird sich zeigen; wie stark er beschritten wird, bleibt abzuwarten. Mailand 2020 wird erste Erkenntnisse liefern. Bis dahin muss jeder selbst entscheiden, ob er die harmonische Bequemlichkeit oder die aufwändige Individualisierung für sich wählt.

>>> Zu dieser fast schon philosophischen Frage können Sie sich selbstverständlich auch im Studio vor Ort beraten lassen. Hochwertige Küchenstudios arbeiten eng mit einer Vielzahl an Gewerken zusammen, die auf ihr Handwerk spezialisiert sind. Dabei laufen alle Fäden in der Hand des Planers zusammen und Sie dürfen sich dennoch entspannt zurücklehnen. Eine bequeme Art der Individualisierung – vielleicht der beste Mittelweg?

Susanne Maerzke
Susanne Maerzke
Kochen ist Lebensfreude, Zeit mit Freunden, Belohnung, Versöhnung, Hobby und Genuss. Auch unsere Redakteurin sieht die Küche als das Herzstück der Wohnung – schließlich endet jede gute Party zurecht in der Küche neben den letzten Käsehäppchen und einem Glas Wein. Es lohnt sich also definitiv, sein Augenmerk auf die Ausstattung der Küche zu richten und mal bei den neuesten Trends, Geräten und Designern nachzuhaken: auch als Gesprächsgrundlage für die nächste Feier.

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